Kleider machen Leute – eine lustige Geschichte die vom einem jungen, bitterarmen Schneider handelt, der anfangs unabsichtlich und durch den Scherz eines Kutschers in eine Verwicklung von Lügen gerät. Er schafft es, durch seinen vornehmen Stil eine ganze Stadt zu täuschen, alle halten ihn für den geheimnisvollen polnischen Grafen Wenzel Strapinski. Jede kleine, unbeabsichtigte Geste von ihm wird als Zeichen für seine Feinheit gedeutet. Nur einer, Melcher Böhni, durchschaut seine Lüge. Doch dieser lässt sich erst nichts anmerken, bis Wenzel sich mit Nettchen verlobt, welche auch gerne Böhni heiraten würde…
Der schweizer Autor Gottfried Keller schrieb dieses Buch als 2. Teil von seiner Novelle "Die Leute von Seldwyla". Aus diesem Werk ist ein ganzer Seldwyla-Zyklus entstanden, mit Werken wie "Romeo und Julia aus dem Dorfe", "Spiegel das Kätzchen" und "Pankraz der Schmoller". 1819 wurde er in Zürich geboren und starb 1890 in der selben Stadt. Er war ein sehr erfolgreicher Schriftsellter, der als einer der bedeutendsten Vertreter der Epoche des bürgerlichen Realismus galt. Er hatte unter anderem in München und Berlin studiert und war zwar ein anerkannter Schriftsteller, doch lange blieb er mittellos. Dies änderte sich als er zehn Jahre lang in der Politik tätig war, als erster Staatsschreiber des Kantons Zürich. Zu diesem Amt wurde er 1861 berufen, nach der Veröffentlichung seines Werkes "Fähnlein der sieben Aufrechten". In diesem Buch lobte er die Schweiz und macht aber auch auf die Probleme des zunehmenden Wohlstandes aufmerksam. Er gab die Politik schliesslich auf, um sich wiederum der Schriftstellerei zu widmen.
Mit dieser Novelle zeigt Keller, wie wichtig der erste Eindruck ist und wie sehr man sich dabei täuschen kann. Schon der Titel verrät es uns - Kleider machen Leute. Das heisst, dass man durch sein Auftreten sehr viel unterbewusst bei seinem Gegenüber beeinflussen - in diesem Fall sogar eine ganze Stadt täuschen und von bitterer Armut zu Reichtum kommen kann. Allerdings ist es fast etwas unglaubwürdig, dass ausser Melcher Böhni, niemand zuvor den Schwindel durchschaut. Zumindest Nettchen und ihr Vater hätten doch vor der Verlobung etwas mehr über ihren Zukünftigen in Erfahrung bringen können... Die Leichtgläubigkeit der Goldauer ist schon erstaunlich.
Obwohl der Protagonist ein Hochstapler ist, schliesst man ihn ins Herz. Er hatte seinen Schwindel schliesslich nicht geplant und ringt ständig mit einem schlechten Gewissen. Schlussendlich bleibt er aus Liebe zu Nettchen und das hat doch etwas sehr romantisches. Er wird nicht wirklich als Bösewicht dargestellt, eher als Profiteur einer Situation, die sich so ergeben hat.
Keller beschreibt die Zwickmühle zwischen Kopf und Herz, Moral und Versuchung sehr gut. Auf einer Wanderung steht Strapinski plötzlich am Scheideweg. Er befindet sich auf einer Kreuzstrasse, schaut einerseits auf Goldach zurück und anderseits hat er die freie Ferne vor sich. Goldach steht für die Versuchung, das Glück, den Genuss und seine Verschuldung. Andererseit steht die Ferne für Arbeit, Armut, Entbehrung aber dafür für ein gutes Gewissen. Fast entschliesst er sich fortzugehen und seine Schulden aus einer entfernten Stadt zu begleichen. Doch da begegnet ihm Nettchen auf einem schönen Fuhrwerk. Wenzel kann nicht anders, bei ihrem Anblick entscheidet er sich, doch nach Goldau zurück zu kehren. Hier wendet sich die Geschichte, da er sich wirklich aktiv dazu entscheidet seinen Schwindel weiterzuführen und Nettchen zur Frau zu nehmen. Allerdings steigern sich seine Schuldgefühle immer mehr, er verbringt schlaflose Nächte. Seine Angst, als armer Schneider aufzufliegen, wird immer grösser. Hier kann man sich gut mit ihm identifizieren. Jeder kennt dieses unangenehme Gefühl in einer Zwickmühle zu stecken. Wenn man genau weiss was das Richtige wäre, aber die Versuchung einfach zu gross ist, das "Falsche" zu tun. Auch diese quälenden Schuldgefühle, die damit verbunden sind. Dies macht unsere Hauptfigur menschlich und irgendwie kann man ihm nicht wirklich böse sein. Die Spannung steigt immer weiter, da man sich schon ausmahlen kann, dass der arme Schneider früher oder später auffligen muss, vor allem da einer, Melchior Böhni, schon beim Pokerspiel Verdacht geschöpft hatte.
Als bei der Verlobungsfeier schliesslich Melchior dafür sorgt, dass Wenzel auffliegt, flieht dieser in den Wald. Dort erfriehrt er fast, kann in letzter Sekunde noch von Nettchen gerettet werden, die ihm wie in Trance unter Schock nachgfahren ist. Bei einer Bäuerin, die von der ganzen Sache noch nichts mitbekommen hatte, sprechen sich die beiden aus. Er erzählt ihr von seinen Schuldgefühlen, seinen Selbstmordgedanken, seiner Kindheit und seiner Liebe zu ihr. Er überzeugt sie, dass er ein guter Mensch ist und sie entschliesst sich ihn trotz allem zu heiraten. Ein Happy End, bei dem Nettchen sich schliesslich für Wenzel wegen seiner inneren Werte und nicht wegen seines Scheins entscheidet. Eine sehr schöne Aussage wie ich finde, mit einer guten Moral dahinter. Allerdings wird aus Wenzel ein angesehener Geschäftsmann, ein Spekulant, was zeigt, dass auch er dem Geld und Status verfallen ist. Schlussendlich sind die Beiden nicht besser als alle anderen, sie wirken aktiv in dieser Gesellschaft mit.
Es lohnt sich dieses Buch zu lesen, da es amüsant, ironisch und dazu lehrreich ist. Keller zeigt die Wichtigkeit der Kleidung und des Auftretens in dieser Gesellschaft auf. Aber auch, dass die Äussere Erscheinung nicht zwingend mit der Persöhnlichkeit zusammenpasst, und dass schlussendlich doch die inneren Werte mehr zählen. Das Buch ist schnell gelesen und bringt einen ab und zu zum schmunzeln, doch steckt mit Wenzels früherer Armut und den Tod seiner beiden Eltern eine gewisse Tragik dahinter. Umso schöner ist es, dass er von Nettchen doch akzeptiert wird.